Herzensangelegenheiten

Tannheims neuer Chefarzt: Der Kardiologe Tilman Eberle im Interview

Kardiologie_Eberle

Als das Angebot kam, musste Tilman Eberle nicht lange überlegen. Seit dem 01. Oktober ist der 58-Jährige als ärztlicher Direktor und Chefarzt für pädiatrische Kardiologie für die Gesundheit vieler kleiner Patienten verantwortlich. Eine Herzensangelegenheit, im wahren Sinne des Wortes.

Warum sind Sie Kardiologie geworden?

Das war für mich nie eine große Überlegung. Ich wusste schon früh in meinem Medizinstudium, dass Kinderheilkunde das passende Fachgebiet für mich ist. Kinder sind so unglaublich ehrlich und direkt, das kommt mir sehr entgegen. Außerdem hat mich das Herz als funktionelles Organ schon immer sehr fasziniert. Herzfehler können sehr variabel sein. Die Funktion des Herzens mechanisch wiederherstellen zu können, hat mich gereizt. Gemessen daran, dass mein Vater Ingenieur in der Autoindustrie war, liegt das vermutlich auch irgendwie nahe (schmunzelt).

Wie kamen Sie nach Tannheim?

Ich war knapp 20 Jahre als Oberarzt im Olgahospital in Stuttgart. 2019 zog ich dann während eines Sabbatjahres mit unserem Segelkatamaran los gen Australien. Nach meiner Rückkehr war ich bereit für eine neue Herausforderung. Da kam mir der Anruf aus Tannheim, und das Angebot, die ärztliche Leitung zu übernehmen, gerade recht. Für mich war es auch ein konsequenter Schritt, von einer Akut- nun in eine Rehaklinik zu wechseln. Mir gefällt die Vorstellung, bis zu meiner Pensionierung hier zu arbeiten. Herzfehler sind immer besser behandelbar – was war der wichtigste Behandlungsfortschritt der letzten fünf Jahre? Moderne Medikamente haben sich in der Kinderkardiologie etabliert, Operationsverfahren sind ausgeklügelter geworden – aber ein wesentlicher Teil sind auch die Fortschritte rund um katheterinterventionelle Eingriffe. Hier geht es beispielsweise darum, die Herzklappen mittels Kathetertechnik zu positionieren und zu weiten. Die Eingriffe sind über die letzten Jahre minimalinvasiver geworden. Dadurch hat sich auch die Regenerationszeit verkürzt. Das ist ein großer Vorteil und die Lebensqualität der Behandelten steigt dadurch erheblich.

Wie betreuen sie herztransplantierte Kinder in Tannheim?

Wir betreuen unsere Patienten rund um die Uhr und profitieren hier vor allem von den kurzen Wegen. Außerdem tun wir alles dafür, den Status Quo, mit dem die Kinder die Reha beginnen, zu verbessern. Sport ist natürlich essenziell für Herzpatienten: Wir messen ihre körperliche Belastbarkeit und geben ihnen eine individuelle Leistungseinschätzung – als Basis für später. Einen großen Stellenwert hat die psychosoziale Betreuung.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der in einem regulären Krankenhaus?

In einer Akutklinik kommen die Patienten mit einem Problem; darauf folgen Diagnose, Therapie, begleitende Maßnahmen – und dann wird der Patient entlassen. In Tannheim beginnt unsere Arbeit dort, wo die der Akutklinik endet. Wir zeigen Patienten, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen können; geben ihnen Hilfestellungen und bereiten sie auf ihre Rückkehr in den Alltag vor. Der Zeithorizont ist hier langfristiger angelegt. Auf der Tannheim-Website heißt es: „Die Zahl an Patienten, die in Folge des Herzfehlers und bedeutungsvoller Restbefunde langfristig eine schwere chronische Herzerkrankung entwickeln wird, dürfte in den kommenden Jahren stark ansteigen.“ Warum? Medikamente und Verfahren werden besser, dadurch erreichen mehr Kinder das Erwachsenenalter, es gibt also mehr EMAHs (Anm. d. Red.: Erwachsene mit angeborenem Herzfehler), die mit ihren Begleiterscheinungen umzugehen wissen müssen. In der Betreuung dieser Patienten bedarf es des vereinten Fachwissens des Kinder- und Erwachsenenkardiologen. Das gibt den EMAH- Patienten die notwendige Sicherheit. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Schwere des Herzfehlers nicht entscheidend für das Maß der Belastung. Warum? Das liegt an der psychosozialen Belastung: Die Schwere eines Herzfehlers sagt nichts über die Einschränkungen im Alltag aus. So kann ein Patient mit einem Einkammerherzen leichter mit seinen Einschränkungen leben, weil sie vorhersagbar sind und er sich darauf einstellen kann. Ein Patient mit malignen Herzrhythmusstörungen dagegen kann das nicht. Die mangelnde Vorhersehbarkeit belastet manche Patienten stark.

Wie nehmen Sie Kindern und Eltern ihre Ängste?

Informieren, erklären, reden, verstehen lassen, offen und ehrlich sein – das ist das Wichtigste. Ein Rest Angst bleibt natürlich. Kinder stecken ihre Krankheit dabei meist besser weg als ihre Angehörigen oder ältere Patienten. Von diesem Optimismus und der Positivität könnte sich auch so manch Gesunder noch etwas abschauen.

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